Montag, 4. Mai 2009

2.5. - 5.5. Varanasi

Varanasi ist unglaublich und nur schwer zu beschreiben, abstossend und faszinierend zugleich, wie Indien als Ganzes auch, nur hier noch etwas mehr.
Waehrend des Landeanflugs auf Varanasi meint Timon "oh Papa, wir landen auf einer Baustelle". Ganz so schlimm ist es dann nicht aber doch wieder sehr typisch fuer dieses Land irgendwo zwischen Mittelalter (es gibt immer noch Maedchen, die mit 13 verheiratet werden, es gibt Lepra, verheerende Armut und Pest ...) und Neuzeit (weltweit geschaetzte Computerfachleute, Satelliten, die in den Weltraum geschossen werden, Atombombe ...).

Varanasi ist wie die meisten indischen Staedte laut, quirlig, es wird gehupt bis zum umfallen, die Abgasschwaden beissen in Augen und Lungen, Menschen ueber Menschen, Kuehe, Ziegen (und wahrscheinlich jede Menge Viecher, die man nicht gleich mit blossem Auge sieht), in schwarz gekleidete Musliminnen, z.T. vollstaendig verhuellt in der Stadt der Hindus, die Shiva, dem Gott der Erneuerung und Zerstoerung, geweiht ist. Dazu in Lumpen gehuellte Rickshaw-Fahrer, Schmiede, die am Strassenrand mit Blasebalg und Amboss ihre Arbeit verrichten, aus der Ferne hoert man Musik, ein kleiner Menschenauflauf, ein paar Leute Tanzen - "it's a wedding" (eine Hochzeit) meint unser Fahrer. Wenige Hundert Meter weiter wieder ein Menschenauflauf, Musik, die gespielt wird; wir meinen oh, hier wird viel geheiratet, schon wieder eine Hochzeit. Unser Fahrer meint, diesmal ist es ein Leichenzug, der die Leiche fuer die Verbrennung runter zum Marnikanika-Ghat am Ganges bringt. Wir merken, dass wir noch viel ueber Indien lernen muessen.

Varanasi, der Ganges und seine Ghats. Alles (Hindu-) Leben ist an diesem heiligen Fluss. An den insgesamt ca. 80 Ghats wird Cricket oder Karten gespielt, Waesche oder sich selbst gewaschen, die Notdurft verrichtet, gebetet, geheiratet, werden Leichen verbrannt, Waren verkauft, wird getanzt, musiziert, meditiert und Yoga ausgeuebt; Sadhus verrichten eine Puya (Gebet), Kuehe und Ziegen laufen herum und fressen die Blumen, mit denen vorher die Leichen geschmueckt wurden, zwei kleine Jungs angeln Fische aus dem Fluss, Maedchen sammeln Kuhfladen ein, Eltern legen sie zum trocknen aus, was dann als Brennmaterial zum Kochen dient, oder es werden Touristen herumgefuehrt und ueber's Ohr gehauen. Hier ist alles oeffentlich. Die meisten Ghats (= eine zu einem Gewaesser hinunterfuehrende Treppe) dienen den Hindus zur rituellen Waschung.

In Varanais schlaegt das Herz des Hinduuniversums, es ist das Zentrum ihrer Religion. Die Stadt ist Shiva geweiht. Hier zu sterben und am heiligen Fluss Ganges verbrannt zu werden ist ein wichtiges Ziel vieler Hindus, um den Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt zu durchbrechen und Erloesung zu finden. Wir lassen uns mit einem Boot bis zum Panchganga Ghat fahren, das etwas Oberhalb des Verbrennungsghats liegt. Vom Verbrennungsghat selber darf man keine Fotos machen; es ist strengstens verboten. Dann kommt aber noch die indische Logik hinzu. Wenn man bereit ist, eine grosse Summe Geld zu bezahlen, dann ist alles moeglich. Sogar, wie wir beobachten durften, das Fotografieren der eingewickelten Leichen aus vielleicht zwei Meter Entfernung. Wir haben ein paar wenige Bilder aus sicherer Entfernung gemacht - vielleicht nicht ganz korrekt, wir haben damit aber die Zeremonie nicht gestoert. Verstoerend, fremd und faszinierend ist es allemal. Es gibt zwei Verbrennungsghats. Am Hauptverbrennungsghat (Manikarnikaghat), wo die meisten Verbrennungen stattfinden, ist waehrend 24h viel los. Holz wird nach einem vereinbarten Preis abgewogen und aufgeschichtet. Die in gold-orangene (Maenner) und gold-orange-rote (Frauen) Tuecher gekleideten Leichen werden unter Begleitung von Musik und Tanz fast im akkord zum Ghat am Fluss gebracht. Ein Priester (Brahmane) bietet (biedert) sich uns als Guide an. Ganz ohne geht es anscheinend nicht. Wir machen von vorhinein klar, dass wir nichts zahlen werden. Er ist einverstanden "I don't want money. I only explain you. I am a priest". Wir denken ja, ja, und sind auf der Lauer nach dem Haken, der so sicher wie das Amen in der Kirche kommt. Er erklaert uns, dass Frauen an den Verbrennungen nicht anwesend sind, da sich diese sonst vor lauter Trauer in die Flammen werfen wuerden. Wenn jemand Altes gestorben ist, ist die Stimmung ausgelassener, weil man sich darueber freut, dass die Person so lange leben durfte. Etwas oberhalb des Flusses fuehrt er uns zum seit 3000 Jahren brennenden heiligen Shivafeuer, an dem Grasbueschel entfacht werden, um damit die Holzscheite mit den Leichen darauf zu entzuenden. Die Leichen werden kurz vor der Verbrennung in den Ganges getaucht, die farbigen Leintuecher und die Blumen entfernt, und nur noch die in weisses Tuch gehuellten Leichen kommen auf den Scheiterhaufen. Wir sind jetzt mitten drin im Geschehen. Der Rauch beisst uns in den Augen, ein paar Maenner musizieren, ein paar andere Tanzen, viele stehen herum, der Fluss und die Scheiterhaufen sind vielleicht noch zehn Meter von uns entfernt. Neue Musik ertoent, eine neue Gruppe mit einer weiteren Leiche kommt den Weg hinunter zum Fluss, an dessen Ufer Maenner (Unberuehrbare aus der untersten Kaste) mit einem neuen Scheiterhaufen beschaeftrigt sind. Etwas erhoeht und vom Ufer entfernt brennen zwei Feuer, in denen Brahmanen verbrannt werden. Alle anderen Leichen werden direkt am Ufer verbrannt. Kinder unter 15, Schwangere und Sadhus werden nicht verbrannt, sondern mit Steinen beschwert im Fluss versenkt, da diese als rein und goettlich gelten. Die Asche der Verbrannten wird in einem Tontopf sammelt und ueber die linke Schulter in den Ganges geworfen, womit die Verbrennungszeremonie beendet ist. Als wir irgendwann finden, dass wir genug gesehen haben wirft "unser" Guide seinen Haken aus. Er koenne uns noch einen Shop zeigen. Etwas irritiert von der Zusammenhanglosigkeit von Verbrennung und Shop wollen wir ihn links liegen lassen. Schliesslich fuehrt er uns noch zu einer alten Frau, die sich angeblich um Leprakranke kuemmert - wie Mutter Theresa, betont er. Wir geben ein paar Rupien und ernten boese Blicke und Beschimpfungen, da es in ihren Augen wohl zu wenig ist. Wir haben jetzt den Haken erwischt, denn ganz offensichtlich geht es darum, mit der Masche Mitleid moeglichst viel Geld aus den Touristentaschen zu ziehen. Wir glauben nicht, dass das Geld auch nur einem einzigen Leprakranken zu gute kaeme und verabschieden uns freundlich aber bestimmt. Diese Widerspruechlichkeit gehoert fest zu unserer Indienerfahrung. Auf der einen Seite sind viele Inder sehr nett, aber es gibt kaum einen, der es nicht gleichzeitig auf unser Geld abgesehen hat. Das ist sehr muehsam.

Die folgenden Bilder habe ich aus dem Internet heruntergeladen. Besonders bei den Verbrennungsbildern bin ich der Meinung, dass es nicht immer wieder neue Bilder braucht und Touristen, die wie Fremdkoerper, knipsend durch die Zeremonie streifen.












Links oben am Rand sieht man den Scheiterhaufen eines Brahmanen, zwei Haufen brennen waehrend eine Leiche vorbereitet wird. Die beiden dunklen Maenner im Wasser suchen uebrigens nach dem Schmuck der Verstorbenen. Dieser wird ihnen von den Verwandten nicht abgenommen. Wem der gefundene Schmuck zugute kommt sagt uns unser Brahmanen-Guide nicht bzw. weicht er unserer Frage danach aus.












Neben den Verbrennungen geht es in Varanasi auch um ganz viel Lebendiges und Praktisches. Die Waesche wird gewaschen









oder man taucht selbst ein in die heiligen Fluten. Wir selber wuerden keinen Finger dort hinein halten. Das Wasser ist sehr verdreckt. In 100 ml Gangeswasser tummeln sich mehr als 1,5 Millionen Faekalbakterien. Maximal 500 Faekalbakterien pro 100 ml Wasser gelten als Schmerzgrenze, damit man noch im Wasser baden kann.

Auf der Heimfahrt im Boot machen wir noch eine verstoerende und unangenehme Entdeckung. Eine aufgeschwemmte Babyleiche schwimmt am Ruder eines Bootes. Indien ist faszinierend und abstossend zugleich.

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